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Michel Péclard steht links im Bild mit einem Mikrofon vor dem Publikum und diskutiert über den Fachkräftemangel. Hinter ihm stehen Jürg Schweri, die Moderatorin Susanne Stöckl und Hendrik Budliger. Rechts im Bild steht ein Blumenstrauss mit Sonnenblumen, links ein Banner mit dem blauweissen Logo des Forums für Universität und Gesellschaft.
Michel Péclard, Jürg Schweri, Susanne Stöckl (Moderation) und Hendrik Budliger (v.l.n.r.) disktutieren mit dem Publikum über Fachkräftemangel und demograpfische Veränderungen im Arbeitsmarkt. © FUG / Adrian Moser

«Arbeitsmarkt der Zukunft: Generationenfrage und Fachkräftemangel»

In der letzten Veranstaltung der Reihe «Die Arbeitswelt im Wandel» diskutieren Experten die demografischen Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und wie Bildung, Generationenmanagement und innovative Unternehmensstrategien den Fachkräftemangel langfristig lindern könnten.

Sarah Beyeler und ChatGPT

Der Fachkräftemangel in der Schweiz ist ein komplexes Phänomen, das von demografischen Entwicklungen, technologischen Veränderungen und den Anforderungen des Arbeitsmarktes beeinflusst wird. Prof. Dr. Jürg Schweri von der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung fragt, ob das Bildungssystem ausreichend qualifizierte Fachkräfte hervorbringt, und ob eine berufliche Ausbildung oder eine akademische Laufbahn der bessere Weg ist, um den Fachkräftebedarf zu decken.

«Beide Bildungswege – die Berufsbildung und das Gymnasium – tragen dazu bei, den Fachkräftemangel in der Schweiz zu lindern»

Die Schweiz hat ein duales Bildungssystem, das sowohl allgemeinbildende als auch berufliche Ausbildungswege ermöglicht. Die berufliche Bildung bereitet direkt auf den Arbeitsmarkt vor, während die Allgemeinbildung breiter angelegt ist und Problemlösungskompetenzen fördert, so Schweri. Statistiken zeigen, dass Absolvent:innen der beruflichen Grundbildung tendenziell seltener erwerbslos sind, während Akademiker:innen langfristig höhere Gehälter erzielen.

Es bleibt jedoch unklar, welcher Bildungsweg langfristig besser ist. Technologische Entwicklungen und Veränderungen im Arbeitsmarkt machen es schwer, vorherzusagen, welche Kompetenzen zukünftig gefragt sein werden. Bildung ist also nicht nur eine wirtschaftliche, sondern auch eine normative Frage, die auf individueller und politischer Ebene entschieden werden muss.

Demografische Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt

Hendrik Budliger, Gründer von Demografik, betont drei zentrale Aspekte des demografischen Wandels der Schweiz: Die Zukunft unterscheidet sich von der Vergangenheit, da Zuwanderung und Geburtenrate nicht in gleichem Masse fortbestehen. Länder wie Deutschland, Italien und Spanien verzeichnen sinkende Geburtenraten, was zu weniger Zuwanderung führt. Ausserdem ist die Entwicklung degressiv, nicht linear: Gesellschaften mit einer Geburtenrate unter zwei Kindern pro Frau schrumpfen exponentiell, was langfristig zu einer drastischen Bevölkerungsabnahme führt. Schliesslich gibt es regionale Unterschiede. Manche Kantone wachsen stärker, während andere schneller altern.

Für den Fachkräftemangel sieht Budliger nebst demografischen Gründen (mehr Menschen gehen in den Ruhestand als neue Arbeitskräfte nachkommen) weitere Ursachen: strukturelle Gründe sorgen für einen Mangel an Fachkräften in Bereichen wie IT, Ingenieurwesen und Naturwissenschaften, während andere Berufe überrepräsentiert sind. Weiter setzen Unternehmen vorhandene Talente oft falsch ein oder erkennen sie nicht und der Wertewandel jüngerer Generationen, die mehr Mitspracherecht bei Arbeitszeit, -ort und -bedingungen fordern, erschwert die Anpassung der Unternehmen.

«Altersdiskriminierung ist noch immer stark verankert und beeinflusst den Arbeitsmarkt negativ»

Die heutige Arbeitswelt ist von einem «Generationensalat» geprägt, in dem Babyboomer, Generation X, Millennials und Generation Z zusammenarbeiten. Während früher die ältere Generation dominierte, haben heute die Jüngeren aufgrund technologischer Kompetenzen mehr Einfluss. Der Fachkräftemangel verstärkt diesen Trend und Altersdiskriminierung wird zu einem grösseren Problem. Budliger plädiert für ein Generationenmanagement, das den Dialog und die Zusammenarbeit zwischen den Generationen fördert, um den Fachkräftemangel zu bekämpfen und die Kompetenzen älterer Arbeitnehmer:innen besser zu nutzen.

Michel Péclards radikale Personalpolitik

Michel Péclard, erfolgreicher Zürcher Gastronom und Unternehmer, spricht über die Herausforderungen der Gastronomie, insbesondere seit der COVID-19-Pandemie. Er betont, dass es in der Branche zu einem massiven Personalmangel gekommen ist, da viele Arbeitskräfte, insbesondere aus der Generation Z, nicht mehr bereit seien, abends und an Wochenenden zu arbeiten. Um dem Fachkräftemangel zu begegnen, hat er neue Ansätze entwickelt, darunter die Einführung von Umsatzbeteiligungen für seine Mitarbeitenden. Dies habe nicht nur zu höheren Gehältern, sondern auch zu einer gesteigerten Motivation geführt, so Péclard. Mitarbeitende identifizierten sich stärker mit der Firma, was zu weniger Krankmeldungen und einer verbesserten Arbeitsmoral führte.

«Wenn Sie den Leuten Verantwortung übertragen, bleiben sie loyal – das ist der Schlüssel zum Erfolg»

Péclard kritisiert die weitverbreitete Zurückhaltung in der Branche, höhere Löhne zu zahlen, obwohl dies nachweislich den Umsatz steigert. Trotz des Erfolgs seines Modells seien viele Gastronomen zu geizig, es zu übernehmen. Péclard hebt auch die wichtige Rolle von Migrant:innen und Asylsuchenden in seinem Unternehmen hervor. Er lobt die Loyalität dieser Mitarbeitenden und betont, dass ihnen Verantwortung übertragen werden müsse. Zudem beschreibt er seine Bemühungen, interne Schulungen einzuführen, um ihnen Karrierechancen zu bieten und sie langfristig in seinen Betrieben zu halten.
Abschliessend plädiert Péclard für mehr Offenheit gegenüber neuen Arbeitsmodellen und fordert die Branche auf, überholte Denkmuster zu überwinden, um den Fachkräftemangel nachhaltig zu bewältigen.

ZUR AUTORIN

Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft

Zur Veranstaltung

Die Arbeitswelt im Wandel: Sicht von oben auf einen Menschen, der mit  Kind im Homeoffice an einem Schreibtisch sitzt und am Computer arbeitet.
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Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen zu den Veranstaltungen «Die Arbeitswelt im Wandel» finden Sie unter diesem Link: www.forum.unibe.ch/arbeit