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Ein Referent steht hinter einem Pult und gestikuliert mit der linken Hand. Er trägt ein weisses Hemd und um den Hals ein Mikrofon. Links und rechts von ihm stehen farbige Blumensträusse.
«Die Nutzung von KI zur Modellierung von Proteinen bietet enormes Potenzial, biologische Probleme schneller und präziser zu lösen», sagt Thomas Lemmin. © FUG / Adrian Moser

Künstliche Intelligenz für natürliche Gesundheit?

Künstliche Intelligenz (KI) revolutioniert die Medizin – von der Proteinmodellierung über psychotherapeutische Chatbots bis hin zur bildgebenden Diagnostik. Doch mit den wissenschaftlichen Fortschritten stellt sich die Frage nach den Grenzen der Technologie. Experten aus Biochemie, Psychologie, Radiologie, Philosophie und Soziologie skizzieren Potenziale und Risiken der KI für die Gesundheitsversorgung und das menschliche Miteinander.

Von Sarah Beyeler, unterstützt durch KI

Proteine bilden die Basis aller Lebensprozesse. Ihre Struktur zu identifizieren ist zeitaufwendig und teuer. Zum Auftakt der Veranstaltung spricht Ass. Prof. Dr. Thomas Lemmin vom Institut für Biochemie und Molekulare Medizin der Universität Bernüber das Potenzial, dank der Nutzung von KI zur Modellierung von Proteinen biologische Probleme schneller lösen zu können. «Proteine bestehen aus 20 verschiedenen Aminosäuren, die wie Perlen an einer Kette miteinander verbunden sind», erklärt er. Mit KI lassen sich Proteinstrukturen deutlich schneller vorhersagen, was die Entwicklung neuer Therapien beschleunigt.

«Die Kombination von Biochemie und künstlicher Intelligenz eröffnet uns die Möglichkeit, Krankheiten schneller zu verstehen und wirksame Therapien zu entwickeln»

Besonders bei schwer behandelbaren Krankheiten wie HIV zeigen KI-basierte Systeme vielversprechende Ergebnisse. Lemmin bleibt jedoch realistisch und mahnt, Erwartungen nicht zu überhöhen.

Ein Referent steht hinter einem Pult und gestikuliert mit der linken Hand. Er trägt ein hellblaues Hemd und ein dunkelblaues Jackett. Neben dem Rednerpult stehen bunte Blumensträusse, im Hintergrund ist ein Banner mit dem blau-weissen Schriftzug des Forums für Universität und Gesellschaft zu sehen.
«Blended Therapy, eine Mischung aus digitalen Interventionen und persönlicher Therapie, bietet vielversprechende Ergebnisse», betont Thomas Berger. © FUG / Adrian Moser

Potenzial und Grenzen von Chatbots in der Psychotherapie

Ein Drittel der Schweizer Bevölkerung leidet innerhalb eines Jahres an psychischen Belastungsproblemen. Besonders Depressionen und Angststörungen bleiben häufig unerkannt oder unbehandelt, sei es aufgrund von Scham oder fehlenden Therapieplätzen. Innovative Lösungen sind dringend erforderlich, betont Prof. Dr. Thomas Berger vom Psychologischen Institut der Universität Bern. Er diskutiert, wie Chatbots in der Psychotherapie eingesetzt werden können. Angesichts der hohen Zahl psychischer Erkrankungen könnten digitale Tools die Reichweite von Therapien erhöhen.

«Heute gibt es generative Chatbots, die als empathisch wahrgenommen werden, obwohl es sich nicht um echte Empathie handelt»

Moderne Chatbots simulieren kognitive Empathie, sind jedoch nicht in der Lage, echtes Mitgefühl zu zeigen. In der Blended Therapy kombiniert man digitale und menschliche Interventionen, was die Behandlungsergebnisse nachweislich verbessert.

Ein Referent hält gestikuliert mit dem Pointer in der rechten Hand. Er trägt ein Helles Hemd und um den Hals ein Mikrofon. Neben ihm steht ein bunter Blumenstrauss, im Hintergrund ist ein Banner mit dem blau-weissen Logo des Forums für Universität und Gesellschaft zu sehen.
«Künstliche Intelligenz ist aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken», betont Piotr Radojewski. © FUG / Adrian Moser

KI in der bildgebenden Diagnostik

Künstliche Intelligenz ist aus der modernen Medizin nicht mehr wegzudenken. Insbesondere in der bildgebenden Diagnostik spielt sie bereits eine entscheidende Rolle. Dr. med. Piotr Radojewski beschreibt die Fortschritte der KI insbesondere in der Radiologie. KI-Systeme erkennen subtile Veränderungen auf MRT- und CT-Bildern, die menschlichen Augen verborgen bleiben. Sie beschleunigen Arbeitsprozesse und verbessern die Diagnosequalität, beispielsweise bei Demenz und Multipler Sklerose. Gleichzeitig betont Radojewski die Grenzen dieser Technologien: Ohne qualitativ hochwertige Daten bleibt die Wirksamkeit der KI eingeschränkt.

«Künstliche Intelligenz erkennt subtile Veränderungen, die dem menschlichen Auge oft verborgen bleiben»

Ein Referent in dunkelblauer Kleidung gestikuliert mit beiden Händen. Er trägt eine Brille und um den Hals ein Mikrofon. Neben ihm steht ein bunter Blumenstrauss.
«Technische Innovationen, insbesondere in den Bereichen Gesundheits- und Haustechnik, können erheblich zur Lebensqualität älterer Menschen beitragen», betont Alexander Seifert. © FUG / Adrian Moser

Robotik zur Unterstützung älterer Menschen

Die alternde Bevölkerung stellt moderne Gesellschaften vor neue Herausforderungen. In der Schweiz sind rund 20 Prozent der Einwohner über 65 Jahre alt – eine Zahl, die aufgrund des demografischen Wandels weiter ansteigen wird. Mit zunehmendem Alter verändert sich das Wohn- und Lebensumfeld vieler Menschen, wobei der Wunsch, möglichst lange selbstständig in der eigenen Wohnung zu bleiben, zentral bleibt. Technik kann dabei helfen, diesen Wunsch zu erfüllen, etwa durch Hilfsmittel wie Staubsauger-, Service- oder gar Pflegeroboter. Dr. Alexander Seifert von der Hochschule für Soziale Arbeit FHNW beleuchtet die Möglichkeiten und Herausforderungen beim Einsatz digitaler Technologien für ältere Menschen. Obwohl sich Seniorinnen und Senioren ein selbstbestimmtes Leben wünschen, ist die Nutzung moderner Geräte in dieser Altersgruppe noch begrenzt. Für einen erfolgreichen Einsatz muss Technik sicher und intuitiv bedienbar sein sowie klare Vorteile im Alltag bieten, betont Seifert.

«Mühsame Tätigkeiten wie Staubsaugen oder schweres Heben sind es, bei denen Technik ältere Menschen unterstützen könnte – doch in der Realität wird dieses Potenzial noch kaum ausgeschöpft»

Ein Referent steht vor dem Publikum und gestikuliert mit dem linken Arm. Er trägt einen blauen Anzug. Im Hintergrund sind ein Blumenstrauss und ein Banner mit dem blau-weissen Schriftzug des Forums für Universität und Gesellschaft zu erkennen.
«Eine positive Arzt-Patient-Beziehung kann den Behandlungserfolg massgeblich beeinflussen – unabhängig von der medizinischen Diagnose oder der Qualität der Therapie», so Stephen Milford. © FUG / Adrian Moser

Menschsein im Zeitalter der künstlichen Intelligenz

Die Digitalisierung schreitet unaufhaltsam voran – auch in der Medizin. Doch welche ethischen Herausforderungen bringt diese Entwicklung mit sich? Der Philosoph Dr. Dr. Stephen Milford von der Universität Basel betont, dass menschliche Beziehungen auch in einer digitalen Welt unverzichtbar bleiben und erläutert die ethischen Implikationen des KI-Einsatzes in der Medizin: Während Technologien wie KI-Diagnosesysteme die Gesundheitsversorgung verbessern könnten, bleibe die Bedeutung menschlicher Beziehungen zentral.

«Technologie kann helfen, medizinische Versorgung zugänglicher zu machen, darf aber nie zu einem Privileg der Reichen werden»

Eine gute Arzt-Patient-Beziehung sei oft entscheidend für den Heilungserfolg. Milford warnt vor einer zunehmenden sozialen Ungleichheit, falls ärmere Menschen auf rein digitale Systeme angewiesen wären, während Reiche Zugang zu menschlicher Betreuung behalten.


 

ZUR AUTORIN

Dr. Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft

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Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen zu den Veranstaltungen «Menschliche Erkenntnis in der Ära künstlicher Intelligenz» finden Sie unter diesem Link: www.forum.unibe.ch/kuenstlicheintelligenz