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Was ist KI? Und wie funktioniert sie?
Von der Nachahmung menschlicher Denkprozesse bis zur Bildmanipulation – KI beeinflusst unseren Alltag tiefgreifend und stellt eine neue Herausforderung für das menschliche Selbstverständnis dar. Die erste Veranstaltung der Reihe «Menschliche Erkenntnis in der Ära künstlicher Intelligenz» zeigt, wie KI funktioniert und wo Chancen und Gefahren liegen.
Von Sarah Beyeler, Marcus Moser und ChatGPT
Nach der Begrüssung durch den Forumspräsidenten Prof. em. Dr. Heinzpeter Znoj beschreibt Marcus Moser, Geschäftsführer des Forums, in seiner Einleitung den Einfluss künstlicher Intelligenz (KI) auf das Selbstverständnis der Menschheit und zieht eine Parallele zu den «drei Kränkungen» des menschlichen Egos, die Freud formulierte. Neben den wissenschaftlichen Entdeckungen von Kopernikus, Darwin und Freud wird KI als «vierte Kränkung» betrachtet, da sie die menschliche Überlegenheit in Denkprozessen infrage stellt.
KI stellt die menschliche Überlegenheit in Denkprozessen infrage
KI kann komplexe Aufgaben oft schneller und besser als Menschen lösen, was Chancen, aber auch Risiken birgt. Für einen verantwortungsvollen Umgang mit KI sind Aufklärung, ethische Leitlinien und Regulierungen wichtig. Einer weiteren Kränkung wirken Menschen entgegen, wenn sie sich in ihrer Selbstwahrnehmung statt als «homo sapiens» als «homo sentiens» definieren und so die einzigartigen emotionalen und ethischen Fähigkeiten unterstreichen.
Denkt KI wirklich?
Zum Einstieg erklärt Prof. Dr. Dr. Claus Beisbart vom Institut für Philosophie der Universität Bern was KI ist und unterscheidet zwei Paradigmen der KI-Forschung: das symbolische und das konnektionistische Paradigma. Symbolische KI basiert auf der Vorstellung, dass Denken das Manipulieren von Symbolen nach festen Regeln ist. Dies wird jedoch kritisiert, da menschliche Denkprozesse oft durch körperliche und emotionale Kontexte beeinflusst werden, was rein regelbasierte Systeme nicht vollständig erfassen können. Das konnektionistische Paradigma hingegen nutzt neuronale Netzwerke, die dem menschlichen Gehirn ähneln und «lernen» können. Dieses Prinzip bildet die Grundlage moderner KI-Technologien.
«In Ansätzen denkt KI schon und sie kommt immer näher an das, was wir menschliches Denken nennen»
Ein weiterer Diskussionspunkt ist der Turing-Test von Alan Turing, der prüfen soll, ob eine Maschine Denkfähigkeit besitzt, indem sie in der Lage ist, sprachlich wie ein Mensch zu agieren. Der Test ist jedoch umstritten, da er viele Aspekte der Intelligenz, wie visuelle Wahrnehmung oder motorische Fähigkeiten, unberücksichtigt lässt.
Schliesslich stellt das Bewusstsein eine besondere Herausforderung für die KI dar. Es umfasst subjektives Erleben und die Fähigkeit zur Selbsterfahrung, die bislang nicht auf Maschinen übertragbar ist. Beisbart betont, dass zwar Fortschritte erzielt wurden, jedoch ein volles Bewusstsein nach heutigem Wissen für Maschinen unerreichbar bleibt.
Das Gehirn als Vorbild
Dr. Mihai Petrovici vom Institut für Physiologie der Universität Bern erläutert, wie die Funktionsweise des menschlichen Gehirns als Grundlage für die Entwicklung von künstlicher Intelligenz dient. Er erklärt, dass das Gehirn aufgrund seiner komplexen Verbindungen schwerer zu simulieren ist als das Universum. Neuronen funktionieren dabei wie kleine Schalter: Sie sammeln Signale und «feuern» sie weiter, wenn eine bestimmte Schwelle erreicht ist. Diese Signale fliessen durch anpassbare Verbindungen (Synapsen), die durch Nutzung stärker werden und damit Lernen ermöglichen. Frühe Erwartungen an KI mit menschenähnlichen Fähigkeiten erfüllten sich oft nicht, doch mithilfe tiefer neuronaler Netzwerke und Fehlerrückpropagation lernen künstliche Netze, indem Fehler erkannt und die Verbindungen angepasst werden.
« AlphaGo verbraucht etwa 200.000 Watt, um Go zu spielen, während das menschliche Gehirn mit rund 20 Watt auskommt – und dabei noch sprechen, laufen und komplexe Dinge tun kann»
Fortschritte in Big Data und Grafikprozessoren beschleunigen diese Entwicklung, brauchen jedoch viel Energie – anders als das menschliche Gehirn, das mit etwa 20 Watt auskommt. Neuromorphe Chips, die das Gehirn nachahmen, könnten langfristig effizientere KI-Systeme ermöglichen und neue Forschungsfelder eröffnen, wie zum Beispiel die Simulation von evolutionären Prozessen.
Wie Maschinen lernen
PD Dr. Sigve Haug vom Data Science Lab der Universität Bern beschreibt die drei Hauptarten des maschinellen Lernens: überwachtes Lernen, bei dem Maschinen durch Beispiele lernen, verstärktes Lernen, das durch Belohnung und Bestrafung die Entscheidungsfindung steuert, und unüberwachtes Lernen, bei dem Muster eigenständig erkannt werden.
Der Erfolg heutiger KI basiert auf Fortschritten in Rechenleistung, grossen Datenmengen und verbesserter Software, wie etwa in Modellen wie ChatGPT, das durch dialogbasierte Interaktionen Wissen vermittelt. Trotz beeindruckender Ergebnisse bleibt KI jedoch fehleranfällig und kann durch ungenaue Daten verzerrt werden, was als «Garbage in, Garbage out» bekannt ist. Einfache visuelle Muster, wie die Unterscheidung zwischen einem Chihuahua und einem Muffin, können Maschinen immer noch Schwierigkeiten bereiten, da sie nicht so intuitiv wie Menschen Formen erkennen können.
«Vielleicht verlieren wir unsere kognitiven Fähigkeiten, wenn wir uns zu sehr auf Maschinen verlassen»
Sigve Haug warnt davor, dass Menschen durch die zunehmende Abhängigkeit von KI ihre kognitiven Fähigkeiten vernachlässigen könnten. Sollte das Vertrauen in Maschinen zu einem Verlust an Selbstbestimmung führen, könnte dies langfristig problematisch werden, besonders wenn KI die menschliche Denkfähigkeit übertrifft.
KI und die Möglichkeiten der Bildbearbeitung
Petra Müller vom Institut für Psychologie der Universität Bern erläutert die weitreichenden Möglichkeiten der KI-gestützten Bildbearbeitung. Durch Programme wie Mid-Journey lassen sich realistische Porträts generieren, analysieren und manipulieren. Ein Beispiel hierfür ist das Porträt von «Konrad», das nur durch eine textbasierte Beschreibung erstellt wurde und verblüffend echt wirkt. KI kann Bilder detailliert analysieren und ermöglicht auch erweiterte Manipulationen, etwa das Ändern von Frisuren, Emotionen oder die Transformation in verschiedene künstlerische Stile.
Neben der statischen Bildbearbeitung erlaubt KI auch Animationen: Gesichter können blinzeln oder sprechen. Diese Technologie findet Anwendung in Werbung und Kundenservice, aber auch bei privaten Nutzern, die KI zur kreativen Bearbeitung oder Unterhaltung einsetzen.
«Man kann seinen eigenen Augen nicht mehr vertrauen, wenn es um Anrufe, Bilder oder Videocalls geht – echte Inhalte sind schwerer als solche erkennbar»
Müller erwähnt auch die Risiken: KI-gestützte Manipulationen wie Deepfakes machen es schwer, zwischen realen und gefälschten Inhalten zu unterscheiden. Diese Gefahr zeigt sich besonders in Bereichen wie Betrug und Identitätsdiebstahl, bei denen KI erstellte Bilder oder Videos für Täuschungszwecke genutzt werden könnten. Die Nutzung dieser Technologien erfordert Verantwortungsbewusstsein, um ihren Mehrwert zu erhalten und gleichzeitig Risiken für die Gesellschaft zu minimieren.
ZU DEN AUTOR:INNEN
Sarah Beyeler arbeitet am Forum für Universität und Gesellschaft
Marcus Moser ist Geschäftsleiter des Forums für Universität und Gesellschaft
Zur Veranstaltung
Sämtliche Unterlagen und Aufzeichnungen zu den Veranstaltungen «Menschliche Erkenntnis in der Ära künstlicher Intelligenz» finden Sie unter diesem Link: www.forum.unibe.ch/kuenstlicheintelligenz